Das Thema für den Monat Oktober lautete Am Kiosk. Alle weiteren Informationen zu Flash Fictions und viele weitere Geschichten sind hier zu finden: http://flashfiction.ch/ueber-uns/
Präriestaub umwehte die Hufe des Rappen, auf welchem der härteste Mann des Westens langsam auf das Städtchen Dreadstone Creak zuhielt. Die Kunde seiner Ankunft musste schon lange die Runde gemacht haben und er erwartete das Übliche an Geflüster hinter vorgehaltenen Händen, respektvollen Blicken und vielleicht die eine oder andere sich anbiedernde Braut. Immerhin war er es, der die Sinclair-Bande eigenhändig zur Strecke gebracht hatte. Er, der härteste Mann des Westens.
Als er die Grenze der Stadt überquerte, wehrte ihm bereits der Duft von Ehrfurcht entgegen. Männer und Frauen blieben am Straßenrand stehen und wandten sich zu ihm um. Er beachtete sie keines Blickes, sondern führte seinen Rappen zielgerichtet, aber in keiner Eile zum nächsten Saloon. Dort glitt er behände vom Rücken des Hengstes und ließ ihn stehen. Das Pferd des härtesten Mannes des Westens würde sich nicht trauen, wegzulaufen.
Der Saloon war schäbig und es gab weder Dirnen noch Musik. Doch dem härtesten Mann des Westens war das egal. Er war hier für den Whiskey. Und je nach dem, vielleicht noch etwas anderes.
»Hey«, sagte der Bartender. »Du bist doch …«
Der härteste Mann des Westens unterbrach ihn mit einer einzigen Geste seiner Hand und nickte bloß in Richtung der Flaschen.
Der Bartender verstummte und servierte den Whiskey. Der härteste Mann des Westens trank ihn mit einem Schluck leer und knallte das Glas auf den Tresen, wo es sofort nachgefüllt wurde.
Nach drei Gläsern Whiskey setzte sich der härteste Mann des Westens an einen der Tische, in einer Ecke, wo er den Saal im Blick hatte, jedoch für sich alleine war. Dort wartete er.
Eine Stunde später betrat ein Junge den Saloon. Unter dem Arm trug er einen Stapel Zeitungen.
»Extrablatt!«, rief er in den fast leeren Saloon, wo niemand ihm Aufmerksamkeit schenkte.
»Hey«, murrte der härteste Mann des Westens und der Junge trabte zu ihm herüber.
»Guten Tag, Sir. Möchten Sie das Extrablatt kaufen?«
»Das Extrablatt kannst du dir wohin schieben, Kleiner.«
Der Junge wich keinen Schritt, sondern verzog nur trotzig das Gesicht. Der Kleine war nach seinem Geschmack. Der härteste Mann des Westens beugte sich verschwörerisch zu ihm hinunter.
»Ich suche was anderes, Kleiner. Was Außergewöhnlicheres. Verstehst du?«
»Oh«, machte der Junge und riss die Augen auf. »So was!«
Der härteste Mann des Westens fasste unter seine Weste und holte ein Bündel Dollarscheine hervor. »Hast du was?«
Nun sah sich der Junge verstohlen um und legte den Stapel Zeitungen auf den Tisch. Er griff mit den schmalen Händen zwischen die einzelnen Blätter und zog ein dünnes Heft hervor.
»Ich habe Verschiedenes in die Richtung«, sagte er verschwörerisch. »Dieses hier ist das Neuste. Es handelt von einem Angestellten in einer großen Stadt, der täglich zur Arbeit geht und abends mit seinen Kumpels abhängt. Jeden Tag.«
»Hm«, machte der härteste Mann des Westens. »Kling gut. Was hast du noch?«
Der Junge holte zwei weitere Hefte hervor. »In diesem lernen sich eine Frau und ein Mann in einer Bar kennen, führen ein Gespräch und sehen sich dann nie wieder.« Der härteste Mann des Westens nickte. »Und das andere?«
»Das Letzte.« Die Augen des Jungen strahlten. »Im letzten Heft geht es um eine Gruppe Frauen und Männer jeden Alters, die sich treffen …« Er beugte sich zum härtesten Mann des Westens vor und raunte: »… um sich gegenseitig Geschichten vorzulesen. Sowas finden Sie nicht überall, Mister. Das garantiere ich Ihnen.«
Der härteste Mann des Westens lehnte sich zurück. »Das ist guter Stoff, Kleiner.« Er warf das Bündel Noten in die Luft und der Junge schnappte es sich. »Ich nehm sie alle.«