Gastbeitrag

Von heute an möchte ich regelmässigem Abstand jemand anderen auf meinem Blog zu den Themen Schreiben, Lesen, Bücher oder Phantastik zu Wort kommen lassen. Wenn sich unter meinen Leser Leute befinden, die sich gerne mit einem Gastbeitrag verewigen möchten, freue ich mich um Kontaktaufnahme!

Der Anfang macht meine Kollegin Yvonne von Allmen, die mich unter anderen dazu gebracht hat, Flash Fictions zu schreiben. Passend also, dass sie euch heute hier erklärt, wie genau sie Kurzgeschichten schreibt. – Carmen


Inspiration finden

Wenn ich eine Kurzgeschichte schreibe, habe ich meistens bereits ein Thema, an dem ich mich orientieren kann. Denn oftmals sind es Erzählungen, die in meinem Fantasy-Universum spielen, Kurzgeschichten für Wettbewerbe, oder unsere monatliche Flash Fiction.

Falls ich aber einmal keine Ahnung habe, worüber ich schreiben will, suche ich mir die Inspiration im Fernsehen, in Filmen, Zeitschriften, Zeitungen oder im Internet, zum Beispiel auf www.artprompts.com oder auf einer der anderen, unzähligen „writing prompts“ Seiten. Hier setze ich mir ein Limit und wähle höchstens fünf verschiedene Prompts aus. Setze ich mir keine Grenzen, verbringe ich Stunden auf der Suche nach dem perfekten Thema und komme nie zum Schreiben.

Gären lassen

Habe ich eine Inspiration gefunden, dann lasse ich das Ganze erst einmal ein paar Tage gären: Während dieser Zeit denke ich immer wieder in jeder freien Minute darüber nach, prüfe verschiedene Ansätze zum Plot, Setting, Figuren oder Genre.

Die besten Einfälle dazu kommen mir dann meistens kurz vor dem Schlafen, unter der Dusche oder auf dem Weg zur Arbeit.

Ich lasse diese Idee so lange gären, bis ich einen brauchbaren Ansatz für Plot, Figuren oder Setting gefunden habe. Manchmal kommen mir sogar schon ganze Plotideen in den Sinn, das ist aber eher selten. In den meisten Fällen habe ich eine Szene vor Augen, eine Idee zu einem Konflikt oder einen Plottwist.

Das Genre definieren

An diesem Punkt definiere ich das Genre, sofern es nicht bereits beispielsweise durch einen Wettbewerb vorgegeben ist.

Spielt es keine Rolle, was für ein Genre verwendet werden soll, dann stelle ich mir vor, wie Szenen oder Figuren sich verändern könnten. So wäre der Wald, in der meine Kurzgeschichte spielt, in einer Romanze vielleicht voll von saftigem Moos, Sonnenstrahlen, Schmetterlingen und Vogelgesang. In einer Horrorgeschichte wäre dieser Wald wohl eher still, düster, sumpfig, kalt und neblig.

Der Holzfäller wäre in der Romanze wohl der gutaussehende, muskulöse, sympathisch-blauäugige Singlemann; in der Horrorstory der hagere, ungepflegte Kerl mit lumpigem, fleckigem Holzfällerhemd und nervösem Zucken des rechten Augenlids. Und was war da nochmal mit seiner Frau …?

Anhand des Genres weiss ich nun, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln soll. Denn das Genre wird durch gewisse Regeln definiert, die man einhalten sollte – oder vielleicht gerade auch nicht. In jedem Fall hat der Leser Erwartungen an die Geschichte, und erwartet in einer als Horrorstory deklarierte Kurzgeschichte kein romantisches Happy End.

Die Idee konkretisieren: Der Plot

Im Optimalfall kenne ich jetzt das Genre und ein paar mögliche Figuren, das eine oder andere Setting, vielleicht schwebt mir auch ein Dialog oder eine konkrete Szene im Kopf herum. Dann ist es Zeit, mir Gedanken zum Plot zu machen.

Ja, ich plotte auch Kurzgeschichten. Gerade bei Flash Fiction, bei der innerhalb von 1000 Wörtern eine runde Geschichte erzählt werden muss, komme ich nicht darum herum. Darum habe ich mir angewöhnt, gleich alle Geschichten zu plotten.

Aber egal, ob du jetzt zu den Pantsern oder Plottern gehörst – etwas gehört immer in eine Kurzgeschichte: der Konflikt. Konflikte erzeugen Spannung und deshalb solltest du dir, egal, zu welcher Art von Autor du gehörst, Gedanken darüber machen. Auch hilft es sehr, eine ungefähre Ahnung vom Ende zu haben.

Ich bin vor einiger Zeit über folgende kleine Formel gestolpert, die mir bisher sehr gute Dienste geleistet hat:

Protagonist + Konflikt + Motivation = Aktion

Beispielsweise ist mein Protagonist ein spielsüchtiger Schmuggler. Dieser hat soeben sein letztes Geld verspielt (Konflikt) und muss neues herschaffen, weil er in drei Tagen beim grössten Bandenboss seine Schulden abbezahlen muss (Motivation). Also plant er auf eigene Faust einen Banküberfall (Aktion).

Manchmal reicht diese kleine Formel bereits aus, um einen brauchbaren Plot für die Kurzgeschichte zu finden. Ich gehe gerne noch einen Schritt weiter und plane die Geschichte anhand des 7-Punkte Systems von Dan Wells etwas genauer.

Ich möchte hier an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen, denn das würde den Rahmen sprengen, sondern verweise gerne auf den Blogbeitrag von Marcus Johanus, der dieses System mit Beispielen sehr anschaulich erklärt.

Die Lagerfeuerversion

Bevor ich mich an das Schreiben des ersten Entwurfs mache, stelle ich mir vor, dass ich die Geschichte beim gemütlichen Beisammensein am Lagerfeuer meinen Freunden erzähle. Das Gute ist, dass diese Freunde noch gar keine Ahnung von der Geschichte haben. Sie kennen weder das Genre, noch Details zum Plot, haben keine Vorstellung von Figuren oder Setting.

Deshalb muss sich die Geschichte so erzählen, dass meine imaginären Freunde erkennen, wer der Protagonist ist, wo die Geschichte spielt, und in welchem Genre sie angesiedelt ist.

Diese Version der Geschichte hilft mir, Schwachstellen im Plot zu erkennen. Ausserdem ist die Hürde, allfällige Fehler zu beheben, wesentlich kleiner, als wenn ich es beim Entwurf machen müsste, denn diese Lagerfeuerversion ist oft um einiges kürzer als die Endversion.

Wenn ich diese Version schreibe, achte ich darauf, dass ich sie in einem Zug durchschreiben kann. Werde ich hier unterbrochen, fällt es mir oft schwer, den Einstieg wieder zu finden.

Der erste Entwurf

Habe ich die Lagerfeuerversion niedergeschrieben und den Plot so zusammen, dass ich mit ihm zufrieden bin, beginne ich mit dem eigentlichen Schreiben. Je nach Länge der Geschichte schaffe ich den ersten Entwurf auf einmal, oder teile ihn auf. Da ich jedoch bereits weiss, was ich erzählen möchte, kann ich leichter zwischendrin aufhören und später wieder einsteigen.

Wie bei allen ersten Entwürfen gilt auch bei Kurzgeschichten: Ich sperre meinen inneren Kritiker aus und lasse den erst wieder rein, wenn ich mit dem Entwurf fertig bin.

Die Überarbeitung

Auch wenn manche Autoren Kurzgeschichten ein wenig stiefmütterlich behandeln, verdienen diese dieselbe Aufmerksamkeit wie ein Roman. Denn auch bei Kurzgeschichten ist die Überarbeitung meiner Meinung nach das Wichtigste.

Bei der Überarbeitung stelle ich mir immer dieselben Fragen: Macht die Geschichte noch Sinn? Können Sätze gestrichen, vereinfacht oder konkretisiert werden? Braucht es alle diese furchtbar sinnlosen Füllwörter? Stimmen die Zeitformen? Gibt es Wortwiederholungen und variieren die Sätze? Verwende ich ausgelutschte Redewendungen? Passt die Satzstruktur zum Inhalt? Und wie schaut es aus mit Rechtschreibung und Grammatik?

Das Vorlesen

Etwas, das ich anfänglich sehr unterschätzt habe, aber mittlerweile immer mache: Ich lese mir die Geschichte vor. Manchmal nehme ich sie sogar auf, beispielsweise mit dem Handy, und höre mir meine Geschichte an. Wie klingen die Sätze? Wo stolpere ich? Beginne ich alle Sätze immer gleich? Gibt es affige Alliterationen?

Indem ich die Geschichte höre, bemerke ich unglückliche Formulierungen besser, als wenn ich sie einfach nur lese.

Diese beiden Schritte, Überarbeiten und Vorlesen, wiederhole ich solange, bis ich (oder besser: mein innerer Kritiker) mit der Geschichte zufrieden bin.

Das Tüpfelchen auf dem I

Zwei Dinge erledige ich immer an Ende: der Titel und der erste Satz.

Einen passenden Titel zu finden, ist nicht immer einfach. Er sollte neugierig machen, darf aber nicht spoilern. Er muss den Leser dazu bringen, das Buch aufzuschlagen, die Seite umzublättern oder den Link zu klicken. Ich kann den Titel aber erst festlegen, wenn ich genau weiss, worum es in meiner Geschichte geht.

Genauso wie der Titel muss auch der erste Satz klug gewählt werden. Denn der erste Satz ist die erste Berührung des Lesers mit meinem Text. Dieser erste Satz entscheidet, ob der Leser interessiert ist, oder wieder aussteigt. Er darf nicht zu kompliziert sein und über unzählige Zeilen gehen. Er soll aber auch keine Erwartungen an Stil und Geschichte stellen, die sich später in der Story nicht erfüllen.

Am besten funktionieren diese ersten Sätze, in dem sie Neugierde wecken. Sie können Vorausdeutungen machen, auf einen möglichen Konflikt hinweisen. Manche verraten sogar das Ende der Geschichte. Welcher erste Satz am besten passt, muss ich meistens in verschiedenen Anläufen ausprobieren.

Endlich ist es raus.

Schliesslich bleibt der letzte Schritt: Veröffentlichen. Schliesslich steckt in meiner Kurzgeschichte viel Arbeit, und ich fände es schade, wenn sie auf meinem Laptop verstauben würde.

Es gibt für mich (fast) nichts Schöneres, als die Kurzgeschichte meinen Lesern zu zeigen, und freue mich, wenn sie damit ein paar unterhaltsame, spannende und phantastische Minuten erleben.


Über diePortrait Yvonne von Allmen Autorin:

Yvonne von Allmen betreibt Worldbuilding aus Leidenschaft, schreibt Horror und Low-Fantasy und bloggt auf www.schreibmotte.ch über ihre Schreib(miss)erfolge.

Wie ich eine Kurzgeschichte schreibe von Yvonne von Allmen
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Yvonne
Reply to  Carmen Capiti
8 Jahre zuvor

Gerngeschehen, danke vielmals! 🙂

Ich habe festgestellt, dass es Auslegungssache ist, wie man Kurzgeschichten definiert. Ist eine Momentaufnahme schon eine, oder ist es nur eine Beschreibung? Kann eine Situation eine Kurzgeschichte sein? Dasselbe mit inneren Monologen.

Für mich ist es eine Kurzgeschichte, wenn sie Anfang, Mittelpunkt und Ende – also eine rudimentäre Art von Plot – aufweist und irgend eine Veränderung beinhaltet. Das kann bei einem inneren Monolog durchaus der Fall sein (z.B. ringt die Figur mit sich, eine Entscheidung zu treffen, die gegen ihre Prinzipien verstösst (Konflikt), und ist am Ende zufrieden oder von sich enttäuscht (Veränderung)).

Bei deinen genannten Beispielen kann es jeweils einen Konflikt haben, muss aber nicht. Dann würde ich es aber nicht als Kurzgeschichte bezeichnen. Denn ich behaupte, dass es keine (guten, spannenden) Kurzgeschichten gänzlich ohne Konflikt gibt. 🙂