Zuerich schmal

Das Thema für die Flash Fiction von diesem Monat stammt von Isabelle (welche im November die Geschichte hier beigesteuert hat). Zur Abwechslung gibt es aber kein Stichwort, sondern ein Foto! 

Zuerich Sonnenaufgang

Das Thema von nächstem Monat lautet „Eiseskälte“.


Feuerleuchten

Ein Poltern an der Tür sorgte dafür, dass der General beinahe aus dem Bett gestürzt wäre. Wie oft hatte er seinen Soldaten schon gesagt, dass er einen leichten Schlaf hatte und es nicht nötig war, fast die Tür einzutreten, um ihn zu wecken.
»Herr General?«
Die Stimme klang eindringlich, fast einer Panik nahe.
»Ich komme!«, rief er zur Antwort und das Poltern und die Stimme verklangen.
Er beeilte sich, seine Uniform überzustreifen, und prüfte, dass die Riemen seiner mechanischen Armprothese korrekt sassen. Dann trat er aus seinem Gemach, ohne weitere Zeit auf Dinge wie einen Kamm oder Bartöl für seinen Schnurrbart zu verschwenden.
»Ja?«, sprach er knapp zu dem Soldaten, der vor seiner Tür wie ein Löwe im Zoo hin und herwanderte.
»Herr General!«, sprach der Mann atemlos. »Es ist soweit.«
Der General reckte das Kinn und musterte den jungen Soldaten.
Sein Kehlkopf hüpfte unentwegt auf und ab und Schweißtropfen perlten von seiner Stirn.
»Ich komme«, sagte der General, ohne weitere Fragen zu stellen. Die Körpersprache des Soldaten verriet genug.
Gemeinsam eilten sie durch die Gänge des Palastes, bis sie den großen Balkon über dem Eintrittsportal erreichten. Der Soldat öffnete ihm die Tür und noch bevor der General den ersten Schritt auf die weitläufige Veranda gesetzt hatte, sah er das Leuchten. Noch überragte die Balustrade den Horizont, doch es war unmöglich, dass das orange Licht nur von den Gaslampen der Straßen unter ihnen stammen konnte.
Mit eiligen Schritten überquerte er die steinernen Fläche und beugte sich über das Schmiedeisegitter der Brüstung. Unter sich breitete sich der See aus, links und rechts davon brannten die Gaslampen, doch wie erwartet, wurde ihr Licht von einem weitaus hellerem, mächtigerem verschlungen. Das Wasser leuchtete orangerot und hinten am Horizont, nach der Steinbrücke und sogar nach der Hügelkette am Horizont, leuchtete der Himmel wie Feuer. Auf den ersten Blick hätte es ein intensiver Sonnenaufgang sein können, wenn da nicht der Geruch wäre, der selbst über all die Meilen hinweg in der Luft hing. Der Geruch von verbranntem Holz. Von Schwefel und Schießpulver. Von Blut und Tod.
In den Rauchschwaden, die über den Hügel aufwogten, zeichneten sich schwarze Punkte ab. Noch waren sie zu fern, um festzustellen, ob sie sich tatsächlich näherten, doch der General wusste, dass sie das über kurz oder lang tun würden. Die Flugschiffe des Feindes.
Es war eine Frage der Zeit gewesen, bis er sich anmaßte, das Herz des Grosskaiserreichs anzugreifen. Dennoch hatte sich der General mehr erhofft. Mehr Zeit, um die Strukturen des Landes zu festigen. Aber er hätte wissen müssen, dass der Feind nicht abwarten würde. Nicht, nachdem die Nachricht über den Tod des Kaisers seinen Weg aus dem Palastmauern und über die Landesgrenzen fand. Der Gedanke daran versetzte dem General einen Stich im Herzen.
Nun standen die Felder und Fabriken außerhalb der Kaiserstadt in Flammen. Und er war alleine. Kein Kaiser, kein Freund, nicht einmal ein würdiger Nachfolger war da, um sich um das Volk zu kümmern, während er selbst den Krieg anführte. Nur er alleine.
»Herr General?«
Nicht nur die erwartungsvollen Augen des Soldaten ruhten auf ihm, sondern die des ganzen Kaiserreichs. Jedes Mannes. Jeder Frau. Jedes Kindes. Sie alle wartete darauf, dass er sie beschützte, wie vor all den Jahren. Damals war er nicht alleine gewesen.
Er straffte die Schultern und atmete einmal tief durch, sog den Gestank des Krieges tief in sich hinein und spürte, wie er durch seine Lungen, seine Adern strömte. Selbst in den Fingerspitzen seines im letzten Krieg verlorenen Armes glaubte er, das Kribbeln zu verspüren, das der Geruch in ihm weckte. Als füllte es irgendwelche, längst versiegte Reserven aus alten Tagen. Von damals, als er noch ein Mann des Krieges gewesen war, bevor er und der Kaiser dem Land Frieden und sich selber Ruhe gebracht hatten.
Friede würde es wieder geben, auch wenn er selbst darin seine letzte Ruhe finden würde.
»Läute den Alarm und beordere die Offiziere in den Strategieraum«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Es ist Krieg.«


Weiter Flash Fiction zum obigen Foto:

„Zürich“ von Lucie Müller

„Anderswelt“ von Yvonne von Allmen

Flash Fiction: Feuerleuchten
Markiert in:             
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
4 Comments
älteste
neueste meiste Bewertungen
Inline Feedbacks
View all comments
trackback
7 Jahre zuvor

[…] Carmen: Feuerleuchten […]

Lucie
7 Jahre zuvor

tolle FF, die Lust auf mehr macht! Was haben der General und der Kaiser zusammen erlebt? Und was passiert jetzt und warum? 🙂

trackback
7 Jahre zuvor

[…] Carmen: Feuerleuchten Evelyne: folgt Lucie: Zürich Isabelle: folgt […]

Yvonne
7 Jahre zuvor

Aaah, Steampunk! An dieses Genre habe ich mich noch nicht getraut, das steht aber auf der Liste 🙂 Schön geschrieben. Lucie hat recht: Geht’s weiter? Irgendwann? 🙂